Am 11. Mai gab Russlands Regierungschef Michail Mischustin die Zusammensetzung der neuen Regierung bekannt. Dabei blieben zunächst große Veränderungen sowohl in der Struktur als auch beim Personal aus. Am 12. Mai folgten aber gleich zwei Überraschungen.
In den Abendstunden gab die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass bekannt, dass Sergej Schoigu der neuen Regierung nicht angehören wird. Anstelle von Schoigu schlug Russlands Staatschef Wladimir Putin vor, seinen langjährigen Berater für Wirtschaftsfragen und seit 2020 Ersten stellvertretenden Regierungschef mit Zuständigkeit unter anderem für Wirtschaftsentwicklung, Außenwirtschaft, Gegensanktionspolitik und Transport Andrej Beloussow zum neuen Verteidigungsminister zu ernennen.
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Wirtschaftsliberaler Technokrat als neuer Verteidigungsminister
Ähnlich wie Schoigu hat auch Beloussow keinen Militärhintergrund. Der 65-jährige Volkswirt gilt als ausgewiesener Fachmann und „wirtschaftsliberaler Technokrat“. Wie Kremlsprecher Dmitri Peskow andeutete, wird Beloussows Hauptaufgabe in der Koordinierung einer engeren Zusammenarbeit zwischen dem Verteidigungsministerium, der Regierung sowie dem Wirtschaftssektor bestehen und damit im weiteren Ausbau der Kriegswirtschaft.
Angesichts der Verhaftung des ehemaligen stellvertretenden Verteidigungsministers Timur Iwanow aufgrund von Korruptionsvorwürfen dürfte der informelle Auftrag an Beloussow lauten, die unter Sergei Schoigu etablierten Bereicherungskreisläufe aufzubrechen und die Korruption innerhalb des Verteidigungsministeriums auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.
Putin (l.) hat gesprochen: Schoigu soll nicht mehr länger Verteidigungsminister sein.Alexander Zemlianichenko/AP/dpa
Obgleich Andrej Beloussow dem wirtschaftsliberalen Kreis innerhalb der russischen Eliten zugezählt wird, sollte mit einer wie auch immer gearteten Liberalisierung des Machtsystems Putin keinesfalls gerechnet werden. Denn zum einen gehört Beloussow innerhalb der wirtschaftsliberalen Kreise zum konservativ-etatistischen Flügel. Und zum anderen vollzieht sich seit 2018 und besonders intensiv seit 2022 eine reaktionäre Wende innerhalb des machtpolitischen Systems Russlands.
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Gelten immer noch als Vertraute: Sergej Schoigu und Wladimir Putin beim Teetrinken.POOL
Russland setzt auf einen langen Krieg
Die Ernennung eines Wirtschaftsfachmannes zum Verteidigungsminister zeugt aber davon, in welchem herausragenden Ausmaße Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mittlerweile im Kern der russischen Wirtschaft angekommen ist. Der Kreml möchte nicht einlenken, setzt auf massive Aufrüstung und konzentriert sich darauf, die Wirtschaft an die Bedürfnisse eines langen Krieges anzupassen. Damit ist die Ernennung Andrej Beloussows für die Ukraine, aber auch für den Westen eine äußerst beunruhigende Entwicklung.
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Unmittelbare Auswirkungen auf den militärischen Verlauf des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind zunächst nicht zu erwarten. Für die militärischen Fragen bleibt weiterhin der Generalstabschef Waleri Gerassimow verantwortlich. Die ausgebliebene Absetzung Gerassimows ist insofern interessant, als bislang bei jedem Wechsel des Verteidigungsministers auch der Generalstabschef ausgetauscht wurde. Angesichts der laufenden russischen Offensivoperationen möchte der Kreml aber offenbar die Streitkräfte nicht ohne Not beunruhigen.
Schoigu und Putin beim Angeln. Ein Bild von 2017Alexey NIKOLSKY / POOL / AFP
Schoigu als Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates
Die zweite Überraschung war eine neue Position für Sergei Schoigu. In Zukunft wird Schoigu den Posten des Sekretärs des Nationalen Sicherheitsrates der Russischen Föderation übernehmen. Welche Rolle dem bisherigen einflussreichen Sekretär des Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew zukommen wird, soll nach Informationen des Kremlsprechers Dmitri Peskow in den kommenden Tagen bekannt gegeben werden.
Entgegen den zahlreichen Gerüchten vergangener Wochen wurde Sergei Schoigu überraschenderweise nicht degradiert. Schließlich zeigte sich Schoigu an der Spitze des Verteidigungsministeriums nicht von seiner besten Seite. Insbesondere nach Beginn der russischen Invasion gegen die Ukraine wirkte Schoigu über weite Strecken überfordert und schlicht inkompetent. Das von ihm im Verteidigungsministerium zwar nicht etablierte, jedoch perfektionierte kleptokratische System führte zur akuten Mangelversorgung und zu einer ganzen Reihe von desaströsen Niederlagen der russischen Streitkräfte. Und seine persönliche Fehde mit dem Financier der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, gipfelte beinahe in einer ausgewachsenen Staatskrise. Schoigus persönliche Loyalität Putin gegenüber dürfte ihn, wie einst schon Dmitri Medwedew, aber gerettet haben und der wahre Grund für seine Ernennung zum Sekretär des Sicherheitsrates gewesen sein. Das Schicksal Nikolaj Patruschews bleibt aber die wohl spannendste Frage der kommenden Tage.
Andrej BjeloussowAP
Was wird aus Nikolaj Patruschew?
Nach der Ernennung Schoigus zum Sekretär des Sicherheitsrates dürfte die Bedeutung dieser Institution innerhalb des russischen Machtsystems in Zukunft deutlich geringer werden. Denn mit Sergej Schoigu als neuem Sekretär und Dmitri Medwedew als stellvertretendem Vorsitzenden wirkt der Sicherheitsrat zunehmend wie ein Abstellgleis für inkompetente, sachlich verzichtbare und doch loyale Personen.
Umso spannender könnte aber die zukünftige Aufgabe für Nikolaj Patruschew werden, welcher nicht wenigen Beobachtern als eine Art Graue Eminenz des Kremls in ideologischen Fragen gilt. Aktuell wird sogar über die Gründung einer neuen Struktur unter der Leitung Patruschews spekuliert. Allzu wahrscheinlich ist das allerdings nicht. Denn eine neue Struktur könnte das bestehende Machtsystem in einer ohnehin schwierigen Phase noch weiter destabilisieren. Eine wichtige Position innerhalb der Präsidialverwaltung mit Zuständigkeit für ideologische Fragen oder eine Position als Sonderbeauftragter des Präsidenten sind aber für Patruschew durchaus vorstellbar.
Patruschews Sohn Dmitri, welcher als einer der möglichen Nachfolger Wladimir Putins gilt, wird in der neuen Regierung jedenfalls einen kleinen Aufstieg erleben, vom Posten des Landwirtschaftsministers zu einem der stellvertretenden Regierungschefs mit Zuständigkeit für Umweltschutz und Landwirtschaftsfragen.
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